Nie wieder Krieg?

Ein Verwandter ist verstorben, im vorgeblich gesegneten Alter von über neunzig Jahren. Er wurde 1939 vom Acker weg zur Wehrmacht eingezogen wurde und erst 1949 von den Russen aus den Kohlenminen in Weissrussland freigelassen.

Das die Zeit sehr hart war und er mit knapper Not überlebt hat wusste jeder in der Familie. Ich kenne aber nur zwei Geschichten von ihm, er wurde immer von seiner Frau gestoppt, wenn er vom Krieg erzählen wollte.

Die Kriegsgefangenen mussten auf Wagen ohne Beleuchtung in natürlich unbeleuchteten Schächten in die Kohleminen einfahren. Mein Onkel war ein kleiner Mann. Trotzdem vergaß er eines Tages sich so klein wie möglich zu machen. Prompt knallte er bei voller Fahrt in die Stollen mit dem Kopf gegen einen der Stützbalken. Der Schlag war so hart, dass es ihm die Kopfhaut fast abriss. Nachdem er notdürftig verbunden worden war, wurde ihm eine Mütze zum Stabilisieren aufgesetzt und er musste arbeiten wie alle anderen halbtoten Gefangenen.

Eine Tages waren sie auf einem Markt (den genaueren Kontext kenne ich leider nicht, als Gefangener konnte man normal nicht auf einen Markt gehen). Ein russischer Soldat wollte ihm von hinten eine Zigarette aus der Tasche stehlen. Mein Onkel drehte sich um und gab dem Soldaten aus Reflex eine Ohrfeige. Er wurde sich seiner Tat sofort bewusst und rechnete damit, auf der Stelle erschlagen oder erschossen zu werden.

Die Händler und Anwesenden hatten den Diebstahlsversuch gesehen und sprangen ihm zu Hilfe, sie schimpften den Dieb aus, der meinen Onkel folglich in Ruhe liess.

Auch nach dem Krieg und der Gefangenschaft hatte das Leben noch einige Schwierigkeiten für ihn parat. Aber ich kenne ihn nur als positiven Menschen, mit einem scharfen Blick für Realitäten.

Beim Aufräumen des Hauses sind Fotos aufgetaucht, über die nichts weiter bekannt ist.
Es sind zwei Fotos von einem augenscheinlich deutschen Gefallenen darunter. Mein Onkel war ein Bauernbub, er hatte sicher keine eigenen Kamera. Propagandabilder der Russen? Handelt es sich um einen Freund von ihm? Ein Opfer von „Friendly Fire“? Der erste Tote, bei dem die entsetzlichen Verstümmelungen noch gefühlsmässig wahrgenommen wurden, bevor man irgendwann abstumpft, der daher fotografiert wurde.

Die Bilder machen mich betroffen, obwohl ich ähnliche Bilder und Filme hundertfach gesehen habe. Hier habe ich einen persönlichen Bezug. Plötzlich kann ich den Dreck riechen, das verbrannte Fleisch, den fürchterlichen Gestank des Todes und der Angst.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Beitrag und die Fotos veröffentlichen soll. Sie bringen mir das Grauen ins Haus, das sich JETZT, im Moment des Schreibens und im auch Moment DEINES Lesens, in Israel, Afghanistan, Irak, Sudan, … abspielt.

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13 Kommentare

  1. neben dem onkel gab es auch unseren nachbarn der lange im krieg war und verwundet wurde. beide strahlten nach aussen eine starke ruhe aus, wahrscheinlich, weil sie durch den wahnsinn des krieges und ihre geraubte jugend froh waren um jeden einzelnen tag an dem sie ein stück brot auf dem tisch hatten und in frieden leben konnten.

    bei den bildern wird mir schlecht.

    komisch, dass ich beim bund war. das habe ich erst dann richtig kapiert als bush senior den ersten golfkrieg angezettelt hat und meine ehemalge einheit in den persischen golf fuhr. spätestens da war ende mit ’nie wieder krieg‘.

  2. Die letzten Kriegsjahre und seine unmittelbaren Folgen durfte ich als Kind erleben. Ich bin dann mit 17 zur Marine und 12 Jahre geblieben.

    Unter den gleichen Voraussetzungen würde ich es heute wieder tun (Berlinblockade, Ungarnaufstand, Niederschlagung des Prager Frühlings)

    Aber ich lehne die Verteidigung von Freiheit und Demokratie am Hindukusch durch deutsche Soldaten kompromisslos ab. Schröder hat das Richtige getan und wenn er es auch zehnmal aus wahltaktischen Gründen auf einem Marktplatz verkündet hat !

  3. Würde jemand versuchen, meinen Bruder oder einen Freund zu erschlagen, würde ich jede Art von Gewalt anwenden, um den Angreifer unschädlich zu machen.

    Und ich wäre auch bereit, die abstrakten Werte meiner Heimat zu verteidigen – allerdings nur im Sinn einer Untergrundorganisation wie der Resistance, niemals in den Reihen einer Armee.

    [Und: Es ist richtig, Beiträge zu veröffentlichen, die ans Eingemachte gehen.]

  4. Manchmal, wenn ich heute bartlose und noch etwas kindliche Jungs von 17 Jahren sehe, wird mir bewusst, was das für eine Zeit war, als mein Vater mit 17 nach Frankreich marschierte, um das zerbechende 1000-jährige Reich eines größenwahnsinnigen Schnauzbartträgers zu retten.

    Nach seinem Tod habe ich sein kleines Fronttagebuch 1944 gefunden, in dem er abwechselnd einmal von jungen Mädchen schreibt, die er beim Tanzen getroffen hat, und dann wieder von Kameraden, die „gefallen“ sind.

  5. UuuH! Kontrastprogramm!
    Für mich immer nicht nachvollziehbar ist, wie man es schafft (psychisch, moralisch), junge Menschen in sowas hinenzubefehlen. Zivilisierte Staaten scheinbar…Zivilisierte Leute…

  6. Wirklich schlimm, doch da man diese Bilder ständig in den Nachrichten sieht, wird man abgestumpft. Zerfetzte, tote Menschen, Hinrichtungen, Bombenangriffe, Heckenschützen bei der Arbeit. Der Mensch ist krank!

  7. Pingback: Nie wieder Krieg! « Pazifismus-Weblog

  8. Krieg ist meiner Meinung die bewusste Ausserkraftsetzung der Zivilisation. Krieg hinterläßt Narben bei den Menschen, die diese Erlebnisse direkt verarbeiten mussten und verstört noch die Generationen danach. Wir wissen gar nicht wie gut es uns hier in dieser Zeit und in diesem Land geht. Diese Bilder machen mich sprachlos, weil ich weiß, auch mein Vater hat in seinen jungen Jahren so etwas sehen müssen – ich saß in meinen jungen Jahren im Kino und schaute Bud Spencer, Krieg der Sterne, ET…

  9. hallo,
    ich finde gut, dass du diesen beitrag veöffentlich hast. den es ist gut über diese schreckliche vergangenheit zu reden.

    ich setzte mich schon seit ein paar jahren mit dem thema zweiter weltkrieg auseinander und habe viel über das thema gelesen, gehört und gesehen.

    mein großvater war auch im 2 weltkrieg mit dabei (in afrika), aber er hat nie davon erzählt, was ich eigentlich sehr schade fand.es war zwar eine schreckliche zeit, aber sowas darf nicht todgeschwiegen werden, damit sowas nie wieder passiert.

    gruß

  10. Pingback: Club der halbtoten Dichter » Mit diesen Bildern

  11. Guten Abend,

    Murmeltier Phil hat mich auf diese wertvolle Beitragsreihe hier aufmerksam gemacht.

    Ich habe selbst einen mit Erlebnissen gefüllten Notizkalender von 1941 und einige Fotos aus der Zeit von meinem verstorbenen Opa in die Hände bekommen und veröffentliche und verarbeite das derzeit als Blogprojekt unter http://vormerkkalender1941.blogspot.com.

    Dass das auch schon andere für eine gute Idee gehalten haben, macht mir Mut, an diesem Projekt festzuhalten.

    Danke!

  12. Ich bin davon überzeugt das es auch bei uns wieder krachen wird. Es fehlt nur der richtige Grund.
    Auch hier in den Niederlanden wo ich wohne brodelt es. Der Hass auf Ausländer ist wie ein unterirdischer Moorbrand, kaum zu Erkennen. Aber er ist da. Natürlich, so perfiede wie die Nazies, so krank und so umfangreich wird es wohl nicht kommen, aber es kommt und es wird keine 10 Jahre mehr daueren.


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